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Dolly Hüther

Was Sie immer schon über Dolly Hüther wissen wollten.

 

 

 

 

 

Ein Zeitungsartikel und seine Folgen

Ihr fragt wer hier erzählt? Na ich! Ich bin das Wort „ficken“. Jetzt frage ich mich was ihr, die ihr die Erzählung liest, über mich denkt? Viele die mich hören, ziehen das Gesicht in Falten – schütteln ihr weises Haupt. Ich muss immer wieder die gesamten, oft ekelhaften Beurteilungen über mich ergehen lassen und zusätzlich, wie über mich gedacht, geredet und gehandelt wird. Ich werde einfach unter den Begriff Pfui - Wörter subsumiert. Aber was damit gemeint ist, das müsstet ihr mir einfach zugestehen, ist doch der wunderschönste Akt auf der Welt.

Das was da zwischen zwei Menschen geschieht, steht im Duden folgendermaßen. Es sei der Geschlechtsverkehr, den die Personen ausführen würden. Ihr schüttelt schon wieder den Kopf? Ja gut, ich versuche das zu verstehen. Es gibt eine Menge Wörter die für diesen Akt, dem ich ja auch meinen Namen gebe. Trotzdem bin ich verpönt. Ich würde einmal gerne eine Befragung durchführen, ganz im Ernst, so in allen Altersgruppen. Da bin ich mir sicher, die jungen Leute fänden mich als Bezeichnung sicher cool. Aber da bleiben immer noch Fragen:

v    Warum ich einen so schlechten Ruf habe?

v    Wo ich benützt werde?

v    Wann ich benützt werde?

v    Ob die Menschen, die mich aussprechen, diskriminiert werden?

Und das alles frage ich mich immer und immer wieder. Ich stelle mir einmal vor, zwei sich liebende Personen sind im Schlusspunkt ihres Beisammenseins. Das Wort sprechen sie aus, das sei ein Orgasmus. Dabei bin ich als Bezeichnung gut genug und werde mit viel Lust ausgesprochen. Auf der einen Seite bin also Lust fördernd und auf der anderen Seite trotzdem die Bezeichnung Pfui. Ich überlege, da besteht eine Menge Bedarf an Diskussion. Wie zwei als ganz normal angesehene Bürger dazu stehen, ja es waren Männer, wie sie darüber denken und wie unterschiedlich die mit mir umgingen, das muss ich Euch erzählen. Nein ich bitte meine Schreiberin, na die, die mich im Moment benützt und mir alles in den Mund legt, diese erlebten Geschichten zu erzählen.

          Nach einer Buchvorstellung und Lesung im Rathausfestsaal, wurde sie morgens von einem älteren Mann angerufen. Der fragte:

„Sind sie die Frau, die wo heute in der Zeitung steht, mit dem schönen Bild und der Liebe im Alter, die am Freitag ihr Buch im Rathausfestsaal in Saarbrücken vorgestellt hat?“ Sie bestätigte freundlich: „Ja die bin ich.“

„Und wiiie beschreiben sie das da mit der Liebe im Alter?“

Sie wollte wissen, was er damit meine, denn das wie hatte er so richtig lang gezogen. Deshalb ihre Frage:

„Meinen sie mit welchen Worten?“ Er schien sich zu winden. „Na, ja, wiiie sagen Sie denn dazu?“ Die Frau hakte nach: „Wie nennen Sie es denn, wenn Sie mit ihrer Frau Liebe machen wollen?“ Er ging nicht darauf ein, indem er wieder fragte: „Nein, nein, ich will ja wissen, wie das da in dem Buch steht? Ich will Sie nämlich einladen, bei uns einmal vorzulesen und da muss ich das wissen.“ Die Frau merkte,er wollte wissen wie sie die Liebe im Alter im Buch verfasst habe. Ihr dämmerte, oh der will das Wort mit f also mich hören. Das würde bedeuten sie muss mich nennen. Darum erklärte sie ihm das Folgende: „Wenn sie glauben, dass Sie darin das Wort ficken finden, dann irren Sie sich. So steht es nicht in dem, was Sie in meinem Buch lesen könnten.“

Eine Weile war es still. Dann faste er Mut und sie spürte, er wollte es ganz genau wissen. „Ja, aber irgendwie müssen Sie das ganze doch beschreiben, denn in der Zeitung hat’s ja mindestens fünf Mal gestanden.“

Sie bestätigte ihm, natürlich nicht mit mir – mit dem Wort ficken – sondern mit der Liebe im Alter. Und die Überschrift, wie die Zeitung die Inhalte benützt hatte. Sie lautete: >ÜBER DIE KUNST ZU LIEBEN, OHNE DEN FADEN ZU VERLIEREN<. Das ist mir als schlecht konnotiertes Wort klar, in der Zeitung und öffentlich kann ich das gut verstehen. Das wäre auch keine Überschrift: >ÜBER DIE KUNST ZU FICKEN, OHNE DEN FADEN ZU VERLIEREN<. Das Niveau dieser Zeitung wäre voll im Eimer gewesen. Der sich erkundigende Mann forschte trotzdem weiter: „Sagen sie mir jetzt mit was für einem Wort nennen sie es dann?“

Deshalb musste meine schreibende Frau bei ihrem Telefonkandidaten, ein wenig deutlicher werden. Sie gab ihm den Rat: „Gehen Sie nach Hause und duschen Sie mit Ihrer Frau, aber bitte zusammen. Sie wissen schon, so mit einseifen und miteinander abtrocknen. Dann sagen Sie, komm mit mir ins Bett, wollen wir ein weinig kuscheln.“ 

Er antwortet sofort fast erschrocken:

„Da tappt die mir eine hinten rein.“

          Wenn der wüsste, wie ich in diesem Moment über das gesagte dachte? Seinen Worten nach, geschieht auf diesem Gebiet bei Ihnen wohl gar nichts mehr. Klar, da hilft auch das deutlichste aussprechen von mir, nämlich dem Ficken, nichts mehr. Das sind viele der Vorurteile, die sie oft nach Lesungen bei den Diskussionen an den Kopf geworfen bekommt. Und trotzdem behaupte ich, das wäre die erste Chance gewesen, mich fast als salonfähig zu erklären.

          Die nächste Story bahnte sich zwei Tage später, wieder bei einem Telefongespräch, an. Im Gegensatz zu meiner Erzählerin bin ich der Meinung, solche Geschichten gibt es inzwischen bestimmt massenhaft. Ganze Bücher werden mit mir und meinen Wortgenossen gefüllt. Und einige werden sogar Bestseller. Aber dieses Mal wurde nicht sie angerufen, sondern sie rief einen Herrn an. Ich konnte mir schon denken, ich war wieder im Mittelpunkt. Daraus entstand eine weitere Fick – Story. Ich kann euch versichern, sie hat für mich einen noch viel größeren Charme, als die Vorherige. Es geschah einfach zu kurz danach. Sie spielte in einem Städtchen in der Pfalz. Die Frau, die unbedingt dort lesen wollte, hatte durch einen Zufall erfahren, dass ein alter fast verfallener Ritterhof aus dem Jahre 1422, wunderschön restauriert und erneuert worden wäre. Er sei auch für besondere Zwecke, so wie Lesungen, ausgestattet. Das war der eigentliche Grund. Sie wollte diesen Ort unbedingt besuchen. Eine Lesung in einem Rittersaal? Das wär’s doch! Und überhaupt nicht zu toppen. Eine wichtige Person die ihr genannt worden war, ist der Herr den sie anrief. Er steht einem Verein vor, der solche Veranstaltungen, organisiert. Sie hatte ihm Materialien, über sich und ihr Buch, zukommen lassen. Bei diesen war natürlich auch eine Kopie des Artikels aus der Saarbrücker Zeitung. Dieses oben beschriebene Telefonat verlief ungefähr so, dass ich förmlich spürte, dieser Typ hatte überhaupt keine Lust, sie einzuladen. Ich hoffte sehr, sie würde mit dieser Ablehnung entsprechend reagieren. Er bestätigte meinen Verdacht und seine Äußerung empfand ich betreten und äußerst knapp. Er habe für den Herbst keinen freien Termin mehr. Sie seien völlig ausgebucht. Das Gespräch ging dann doch weiter, denn sie gab nicht auf und bat ihn, sie halt für das nächste Jahr vorzumerken. Er begründete seine Ablehnung mit den mich wenig betroffen machenden Worten: „Ich habe den Artikel über >Liebe im Alter< in Ihrer saarländischen Zeitung überflogen. Seine Frage dazu: „Wollen Sie so ein zweiter Oswald Kolle werden?“

v    Na, das ist ein Vergleich?

v    Was schiebt der denn meiner Person unter?

v    Wie dachte denn der über dieses wunderschöne Zusammensein zweier Menschen?

Bestimmt nicht an mich. Und die Aufklärung von Oswald Kolle war zu dieser Zeit längst Geschichte. Mir viel sofort die Bergmannstory, aus der kleinen saarländischen Gemeinde ein. Es erstaunte mich, wie beharrlich sie blieb, denn sie nahm all ihren Mut zusammen. Sie dachte bestimmt, eine Absage konnte ja nicht mehr kommen, die war schon ausgesprochen und so entgegnete sie genau wie dem älteren Herrn, nur ein wenig dezidierter:

„Ach, wenn Sie meinen in meinem Buch das Wort ficken finden zu können, auf dieser Ebene schreibe ich nicht.“ Oh, was lese ich hier? Sie ist doch sonst immer so mutig? Ich spürte, sie hatte Angst, Angst weil sie erwartete, dass dieser Herr nun den Hörer aufknallen würde. Aber – er antwortete als Lateiner:

„Erare human um est.“

Das Staunen war ab jetzt auf ihrer Seite. Es klang alles sehr lustig. Er bot ihr aus seinem Erfahrungsrepertoire eine Geschichte an. Sie gestand, dass sie sich über neue Geschichten immer freue, diese dann sogar aufschrieb. Es folgte eine, die verblüffte mich und sicher auch sie. Wir konnten danach beide nur ins Telefon lachen. Er erzählte wirklich recht amüsant. Hier sein Originalton:

„Im Münsterland, da stamme ich her, hat einmal ein Vikar in der Evangelischen Kirche eine Antrittsrede gehalten.  Er hat darin das Wort ficken definiert und es seinen Ausführungen zu Grunde gelegt. Er hat erklärt, es stamme aus dem Lateinischen und sei ungefähr so zu verstehen, sich hin und her bewegen.“ Wobei er die heutige Deutung aus Wikipedia nicht parat hatte. Dort wird erklärt: Es handele sich um reiben und sei inzwischen ein viel gebrauchte Wort.Die Beispiele verkneife ich mir an dieser Stelle.

          Was habe ich denn immer gesagt und ich werde dafür eintreten, dass ich einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekomme. Wenn mich ein Vikar in einer Predigt benützt. Meine Güte, das veranlasst sie sogar zu stammeln. Ein Glück – sie fasste sich sehr schnell wieder und entgegnete ihm frisch von der Leber weg: „Das habe ich in meinem Leben oft und gern getan und tue es auch heute noch, jetzt weiß ich endlich was es bedeutet.“

Na, na, na, wie schaute SIE? Aha, ich denke mir so, im Stillen sinnierend sich fragend, in einer Kirche und bei einer Antrittsrede? Vielleicht sogar weiter denkend, sie hätte zu gerne die Geschichte der gläubigen Christen gesehen. Ich Auch! Es ist schon erstaunlich was ich – dieses kleine Wörtchen ficken – auslöse. Ja, manches Mal könnte sie sich schieflachen, erklärte danach meine Schreiberin, denn zwei Stunden später rief der Herr mit der Antrittesrede des Vikars an. Seine kurze Äußerung lautete: „Schauen Sie in Ihren Kalender. Haben Sie am 26. Oktober noch frei? Wir würden Sie zu diesem Termin gerne einladen. Ich habe Sie als herzerfrischende und offen denkende Frau kennengelernt, jetzt will ich Sie meinem Publikum gönnen.“

          Umständlich blätterte sie in ihrem Kalender und welch ein Wunder, sie hatte selbstverständlich diesen Termin noch frei. Also – keinen Rittersaal. Aber für sie ein zweites Mal in diesem wunderschönen Ort lesen zu können, der mit vielen Erinnerungen und Emotionalitäten besetzt war und ist, darüber freute sie sich wie eine Schneekönigin.

          Wenn heute ab und zu das Wort ficken mit der Bedeutung fällt, muss sie an ihre beiden Geschichten denken. Ich verstehe sie gut und weiß, deshalb erzählt sie die Storys oft und gern und mit viel spritziger Ironie.

          Nach ihrer Lesung, erwähnte die Artikelschreiberin in ihrerer Berichterstattung im Pfälzer Merkur, mich leider mit keiner Silbe. Das deutliche Wort „FICKEN“, wäre schön für mich gewesen, denn der Artikel faste beinahe eine Zeitungsseite. Also salonfähig bin ich nicht. Ich wäre es soo gern. Ich bin inzwischen völlig ausgesöhnt und über sämtliche Artikel für sie dankbar, wenn ich auch nicht genannte werde. Allerdings bei Liebe im Alter, muss ich trotzdem ans ficken denken, denn ich wünschte mir dieses Gefühl für viele meiner Leserinnen und Leser

Und darüber wäre ich dann sehr froh.

 

                                       Isolde (Dolly) Hüther 01.04.2013