Dolly Hüther
Was Sie immer schon über Dolly Hüther wissen wollten.
Mutter - Muttertag
Meine Mutter hat mir vieles vermittelt. Einiges davon war mir so wichtig, daß ich es aufgeschrieben habe. Zu einer Begebenheit habe ich sie interviewt und ihre Stimme aufgenommen. Eine Laudatio, die ich zu ihrem 89sten Geburtstag verfaßte, bereitete ihr zu Lebzeiten so viel Freude, daß ich sie ihr noch im Altenheim immer und immer wieder vorlesen durfte. Sie war, ist und bleibt in meinem Leben eine wichtige Person. Was den Muttertag betrifft, so wurde der bei uns früher stets rituell gefeiert. Das fand in der NS-Zeit statt und war beeinflußt von jener Ideologie. Sie hat die Mutterschaft meiner heutigen Sicht nach total pervertiert.
Aber auch damals haben wir diesen Tag so begangen, wie er heute noch in unserer Kultur von den meisten Familien gefeiert wird: mit schönen, aber auch verlogenen, rührenden und auch kitschigen Anteilen.
Als das L Q S (Literarisches Quadrat Saar) für die Mai-Lesung das Thema Mutter – Muttertag ins Programm aufnahm, war ich nicht begeistert. Grund genug, mich rückblickend mit der Geschichte dieses Tages zu beschäftigen. Die wenigsten Menschen wissen, auf welchem Ereignis dieser Tag beruht und/oder wie er zustande kam.
Die Amerikanerin Ann Jarvis, eine friedensbewegte Methodistin, warb 1907, im zweiten Todesjahr ihrer Mutter, für die Idee, einen Tag des Jahres der Ehrung unserer Mütter zu widmen. Ann Jarvis wandte sich zugleich gegen jedwede kommerzielle Nutzung des Muttertages. Präsident Wilson und der Kongreß erklärten 1914 den Muttertag zum offiziellen Feiertag. Die Veranlassung dazu bot die damals stagnierende amerikanische Wirtschaft und das Anliegen des Kongreßbeschlusses war, eben diese anzukurbeln. Mit großem Erfolg.
Wie später Hitler und die NSDAP diesen Tag benutzt haben, konnte ich selbst erleben. Schon als Kind nahm ich eine merkwürdige und dazu ungerechte Sonderbehandlung von Müttern wahr. Ihre Auszeichnung war mir präsent. Sie hat mich sogar geprägt.
- Die Verteilung der Mutterkreuze beinhaltete, daß die deutsche Frau möglichst zahlreichen „erbgesunden“ Nachwuchs gebären sollte.
- Meine Großmutter, die acht Kindern das Leben schenkte, bekam für diese Leistung ein Ehrenkreuz – in Gold.
- Eine Frau, die fünf Kinder bekam, wurde dafür mit dem Mutterkreuz belohnt – in Silber.
- Frauen mit weniger Kindern, erhielten das Kreuz – in Bronze.
Wir Frauen der Nachkriegszeit – der neuen Frauenbewegung – haben diesem „Kind“ seinen Namen gegeben und die Auszeichnung als „Gebärprämie“ deklariert. Der Muttertag kam den Nazis gerade recht, ihren ideologischen Mutterkult zu präsentieren – und dies wiederum vielen Müttern, das läßt sich nicht leugnen, ihre „Arbeit aus Liebe“ scheinbar endlich einmal gewürdigt zu sehen. Wir wissen noch wenig von dem Preis, den diese Beschwörung eines Volkskörpers den Frauen abverlangte. Damals jedenfalls ging das einher mit ihrer Benachteiligung auf der gesellschaftlichen, politischen, juristischen und erwerbstätigen Ebene. Ein Beispiel sei hier für viele benannt: Wenn eine Lehrerin heiratete, mußte sie den Schuldienst quittieren. Frauen hatten sich um Haus und Herd zu kümmern, aber die erste Pflicht war und blieb die „Aufzucht“ des Kindes.
Schon bald nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Muttertag wiederbelebt. Kaum jemand schien sich zu erinnern, wie Frauen noch tags zuvor funktionalisiert, benutzt worden waren. Gefeiert wurde nach dem Motto: Laßt Blumen sprechen! Und vielleicht gehofft, daß ihr Duft betöre.
Ich habe mit meiner Familie den Muttertag abgeschafft. Meine Begründungen waren und sind vielschichtiger Natur. Wenn meine Kinder das ganze Jahr nicht gut, freundlich oder liebevoll mit mir, ihrer Mutter, umgehen, dann brauchen sie dies auch nicht an einem Tag zu tun, der ihnen kalendarisch vorgeschrieben ist.
Frauen, die nicht gebären wollen oder können, sind nie selbst die Gefeierten – trotz ihrer auch mütterlichen Liebe zu anderen.
Ich will einen Tag, an dem ich mit allen Frauen zusammen feiern kann.
Diesen Tag gibt es bereits seit 1911 – er war und ist ein „Kampftag“ –, den Internationalen Frauentag am 8. März. Der aber nicht bei allen Frauen ankommt oder von ihnen nicht angenommen wird. Er ist in der konservativen Frauenszene umstritten und auch für manch eine in der progressiven Szene angeblich zu parteien- oder gewerkschaftspolitisch besetzt. Meine eigene Erfahrung zum Thema ist folgende:
Nachdem ich im Jahre 1979 den Muttertag abgeschafft hatte, überreichten mir meine Söhne je eine Rose am Internationalen Frauentag. Manchmal war ihr Ideenreichtum etwas handfester, etwa wenn einer mitten im Jahr erklärte: „Heute ist Muttertag, ich putze dir die Küche.“ Wenn er sein Versprechen dann auch einlöste, war ich mit meiner selbstgewählten Lösung wieder mal zufrieden. Seit geraumer Zeit, ich habe es kaum wahrgenommen, bekomme ich nichts mehr: weder die Rose zum Internationalen Frauentag noch die Küche geputzt. Die Söhne kommen von weither zu Besuch, setzen sich an den gedeckten Tisch und nehmen alles als selbstverständlich hin. Nun, eines Tages fingen ja auch Männer damit an, sich einen Jahres-Tag zu gestalten, den sogenannten Vatertag, den es offiziell gar nicht gibt. Wenn im Kirchenjahr das Fest der Himmelfahrt Christi ansteht, feiern die angeblichen Väter mit Ziehwägelchen und viel Bier ihr Äquivalent zum Muttertag.
Gibt es etwa einen Bedarf nach solchen Tagen?
Oder ist das Ganze auch hier und heute und immer wieder ein Anlaß mehr zum Konsumieren? Insofern nicht unerheblich für den Markt und die Wirtschaft?
Man/frau stelle sich einmal vor, zum Muttertag würden keine Blumen mehr gekauft oder verschickt. Ich stelle mir vor, daß Frauen, die in den Gewächshäusern von Holland und Brasilien mit Pestiziden und Herbiziden berieselt werden, keinen Krebs mehr bekommen. Für mich ein wunderbarer Gedanke.
Ein Motto, das mir noch aus meiner politisch aktiven Zeit in Erinnerung ist, heißt:
ZUM MUTTERTAG – MACHEN WIR PUTZ IN BONN – (HEUTE IN BERLIN)
NICHT NUR BLUMEN – RECHTE FORDERN WIR! (2001)
Erstveröffentlichung (überarbeitet): Gersweiler Anzeiger, Nr. 589 vom 17. Mai 2001
Zweitveröffentlichung: Saarländische Frauenzeitschrift: „DONNAWetter“, die inzwischen leider nicht mehr existiert